…oder doch nicht so ganz, wie man denkt?

Wenn ich auf dem Hundeplatz, oder auch ganz banal bei einem Spaziergang war, dann hatte ich früher immer mindestens einen Ball dabei. Und da war es auch völlig egal, ob es ein Tennisball war, oder ein Kunststoffball mit Kordel dran, oder sonst eine Variante. Wenn ich mit meiner Ronja unterwegs war, dann brauchte ich theoretisch keine Leine oder sogar auch kein Halsband. Egal in welcher Situation – das habe ich bei ihr schnell gelernt – war nur ein Ball zum Werfen von Nöten. Wenn Ronja sich mal (was sehr selten vorkam) zu weit entfernte, dann musste ich nur ihren Namen rufen und ihr zeigen, dass ich einen Ball in der Hand hatte, und schon kam sie angelaufen wie eine Rakete, und setzte sich im nahezu perfekten Vorsitz vor mich, und forderte mich auf, den Ball doch nun bitte auch zu werfen. Das Ganze funktionierte übrigens auch ohne tatsächlichen Ball, in dem ich im Spätsommer auf dem Boden liegende Äpfel (also Fallobst) warf, oder im Winter Schneebälle. Die Äpfel holte sie dann übrigens nicht nur wieder zurück, sondern fraß sie auch. Naja, zumindest war das ja dann nicht ungesund… Bis dahin war das Ganze auch für Ronja und mich noch sehr spaßig und sehr praktisch obendrein, denn ich hatte einen Hund, den ich mit Hilfe des Balls perfekt abrufen konnte.

Doch irgendwann kam ich mal in eine Situation, in der ich das erste Mal stutzig wurde, bzw, die mich so richtig nachdenklich machte. Irgendwo auf einem Feld sah ich eine Person in einiger Entfernung, die ebenfalls einen Hund bei sich hatte, und ihrem Hund auch einen Ball warf. Meine Ronja sah dies natürlich sofort, und – da sie wie eigentlich immer ohne Leine lief – schoss sie wie eine Kanonenkugel ab in Richtung des anderen Menschen, der den Ball warf. Natürlich rief ich sie sofort bei ihrem Namen und hielt meinen eigenen Ball hoch, aber Ronja reagierte überhaupt nicht. Also blieb mir gar nichts anderes übrig, als Ronja hinterher zu laufen. Immerhin wollte ich ja auch keinen Ärger provozieren, weil es möglicherweise Stress unter den Hunden wegen des Balls gegeben hätte. Der andere Hundebesitzer reagierte sehr besonnen, und steckte zunächst den Ball wieder ein, so dass die Hunde sich wegen dem Ball nicht stritten. Weil mir das Ganze äußerst unangenehm war, entschuldigte ich mich natürlich äußerst schnell, und sagte „das hat sie noch nie getan, ich bin völlig perplex.“ Natürlich wusste ich im Nachhinein, dass man das typischerweise immer wieder hört, dass der Hund das noch nie getan hat. Aber gut – das ist ein anderes Thema. Wir ließen die Hunde miteinander spielen, wobei beide kein übermäßiges Interesse am Spiel miteinander zeigten. Also unterhielten wir beiden Hundebesitzer uns noch eine Weile, bevor dann jeder wieder seinen eigenen Weg ging. In den nächsten Wochen danach war alles wieder völlig normal, und ich hatte keinen weiteren Vorfall dieser Art. Daher maß ich dem ganzen dann doch keine größere Bedeutung mehr bei. Als dann allerdings innerhalb weniger Tage gleich mehrmals das gleiche Verhalten bei Ronja wieder auftrat, kam mir tatsächlich der Gedanke in den Sinn, dass da irgendetwas nicht völlig normal sein konnte. Mir wurde schnell klar, dass sie sich im Prinzip nicht deswegen so gut abrufen ließ, weil ich sie rief, sondern wegen des Balls. Also unternahm ich ein paar weitere Tests. Sicher, die sind natürlich nicht wissenschaftlich, und insofern haben sie sicherlich nur begrenzte Aussagekraft, aber für mich waren diese Tests wichtig, um so eine Art Sicherheit zu bekommen in dieser Frage. Also nahm ich Bekannte mit, zu denen Ronja keinerlei Bezug hatte. Gemeinsam gab es so also mehrere Spaziergänge mit unterschiedlichen Personen. Irgendwann gab es dann bei den Spaziergängen einen Punkt, an dem die Bekannten und ich uns gewissermaßen trennten, in dem wir in unterschiedliche Richtungen weitergingen. So lange kein Ball im Spiel war, ging Ronja mit mir mit. Sobald die Bekannten aber Ronjas Namen riefen und einen Ball in die Luft hielten, so dass sie ihn sehen konnte, war Ronja auf und davon in Richtung Ball, und ließ sich von mir ohne Ball nicht mehr abrufen. Ronja reagierte übrigens auch genauso, wenn sie vorher nicht explizit namentlich angesprochen wurde. Für mich wurde so nach einigen Test-Spaziergängen klar, dass Ronja einzig und allein auf Bälle fixiert war. Ich konnte nun mit Fug und Recht davon ausgehen, dass sie nicht nur ein Ball-Junkie, sondern im Prinzip Ball-süchtig war. Gibt es das überhaupt? Und ist das eine Krankheit? Wie reagiert man bei Hunden, die dieses Phänomen zeigen?

Ich denke, dass es grundsätzlich erst mal wichtig ist, das überhaupt erst mal zu erkennen. Und ob das wichtig oder gar etwas Dramatisches ist, auch darüber lässt sich trefflich streiten. Fakt ist aber auch, dass sich – zumindest für mich – eine gewisse Art von Gefahr dahinter verbirgt, denn der Hund kann immer unkontrolliert weglaufen, wenn er jemanden sieht, der Bälle wirft, und er kann dadurch natürlich nicht nur sich selbst sondern auch andere gefährden, wenn er beispielsweise über eine Straße läuft. Auch Kinder, die ja gerne Ball spielen, sind dann einer gewissen Unsicherheit ausgesetzt, denn wenn ein Hund hinläuft, um sich den Ball zu holen, kann ja auch das eine oder andere passieren – ohne dass ich jetzt zu Schwarz sehen möchte.

Da mir einige Menschen in meinem Umfeld versuchten klarzumachen, dass das alles nur überzogene Gedanken sind, und es eine Art Ball-Sucht bei Hunden nicht gibt, machte ich mich auf, und suchte in den Weiten des Internets, ob es nicht auch andere Menschen mit ähnlichen Erlebnissen gab. Und siehe da: dieses Phänomen ist gar nicht so selten, wie man das vielleicht meinen mag. In diesem Zusammenhang ist auch der Aspekt nicht unwichtig, dass ein eventuell vorhandener Jagdtrieb durch permanentes wiederholtes Werfen eines Balls forciert werden kann.

In einschlägigen Foren aber auch auf Youtube beispielsweise gibt es einige Menschen – Neu-Deutsch „Influencer“ genannt – die sich auch mit diesem Thema beschäftigt haben. Entsprechende Videos und Beiträge zu diesem Thema sind da wirklich sehr aufschlussreich.

Übrigens – kleine Anekdote am Rand: es gab kaum einen größeren Spaziergang, auf dem Ronja nicht irgendeine Form von Ball fand. Aus diesem Grund nannte ich sie zeitweise auch liebevoll meine „Ball-Such-Maschine“.

Vor einiger Zeit fielen mir dann bei meinem Leon ähnliche Symptome auf. Auch er wird schier rasend, wenn man einen Ball in die Hand nimmt. Auch er möchte diesen unbedingt geworfen bekommen. Da ich diese Zeichen aber bereits kenne, steuere ich dagegen, und versuche sein Interesse an Bällen nicht weg zu trainieren – das würde vermutlich sowieso nicht funktionieren –, nein, ich versuche das zu kanalisieren. So verstecke ich beispielsweise den Ball, und lasse Leon den Ball suchen. Dann habe ich nicht mehr dieses unkontrollierte Wegrennen, sondern eine mehr oder weniger sinnvolle Beschäftigung, bei der ich obendrein auch noch etwas für seine geistige Auslastung tue. Zudem wird der Spaziergang dadurch entschleunigt, so dass sowohl Leon als auch ich den gemeinsamen Spaziergang wesentlich mehr genießen können. Alle anderen Hunde des Rudels natürlich ebenfalls. Das ist dann also eine „Win/Win“-Situation sowohl für Leon als auch für mich. Nein, Leon ist nicht Ball-süchtig. Aber durch das Erkennen dieses Musters konnte ich dafür sorgen, dass Leon (und damit auch kein anderer meiner Hunde) auch in Zukunft kein Ball-süchtiger Hund wird.

Doch was bedeutet das eigentlich, wenn ein Hund Ball-süchtig ist oder wird? Und was steckt dahinter? Im Prinzip sind beim Ballspielen Handlungsfolgen enthalten, die auch beim Jagdverhalten enthalten sind. Dies sorgt unter anderem dafür, dass dieses Verhalten selbstbelohnend ist. Und dadurch kann der Jagdtrieb, den ja viele Hunde haben, verstärkt werden. Übrigens haben auch Schäferhunde – entgegen der landläufigen Meinung, dass Hütehunde eben keinen Jagdtrieb haben, weil sie ja Hütehunde sind – mehr oder weniger Jagdtrieb.

Ob ein Hund die Veranlagung hat, Ball-süchtig zu sein, oder nicht, kann man unter anderem an folgenden Faktoren erkennen, die sehr stark auf das Suchtverhalten hindeuten:

  • Der Hund reagiert sehr aufgeregt, wenn jemand das Spielzeug (in dem Fall eben den Ball oder auch eine Frisbee) in Händen hält, und der Hund dieses sehen kann.
  • Während der Ball fixiert wird, kann der Hund nicht ruhig sitzen, und läuft oder springt neben oder vor der Person, die den Ball hält, hin und her. Dabei schaut der Hund auch nicht mehr danach, wohin er läuft.
  • Der Hund wird bis zur Erschöpfung weiterspielen, bedeutet also, dass er niemals von sich aus das Spiel beenden würde.
  • Alle anderen Reize werden quasi vom Hund ausgeblendet, nichts (also keine anderen Hunde, Personen oder auch andere Dinge) ist mehr interessant für ihn.
  • Tatsächlich ist dem Hund völlig egal, welche Person das Spielzeug wirft. Der Hund unterscheidet da nicht mehr zwischen seinem Besitzer oder einer fremden Person. Wie das Beispiel meiner Ronja gezeigt hat, hätte ich auch weggehen können, ohne dass meine Hündin das bemerkt oder es sie interessiert hätte.

Bei allem Spaß macht man sich zunächst gar nicht bewusst, dass dieses vermeintlich gemeinsame Spiel natürlich auch noch einen anderen negativen Effekt hat: die Bindung zwischen mir als Hundehalter und meinem Hund wird massiv gestört, weil das Spielen gar nicht auf Bindung basiert. Eigentlich ist in dem Moment überhaupt keine Bindung vorhanden. Bösartig formuliert könnte man sagen, dass die Bindung einzig und allein zwischen meinem Hund und dem Ball besteht, wobei das natürlich nur eine äußerst einseitige Bindung ist. Darüber hinaus kann das Ganze natürlich auch gefährlich werden für den Hund genauso wie im Extremfall für andere – möglicherweise fremde – Personen. Für den Hund kann das Spiel gefährlich werden, weil es möglicherweise seine Gesundheit belastet und beeinträchtigt. Warum? Durch das Werfen des Spielzeugs muss der Hund, wenn er es denn aufnimmt, permanent abbremsen. Dies führt zu einer übermäßig starken Belastung der Gelenke. Und dies ist nur ein Aspekt. Warum kann der Hund zur Gefahr für andere werden? Nun, der Hund könnte in der Folge allem hinterherhetzen, was sich bewegt. Ob dies andere Tiere, andere Menschen oder auch andere Dinge (wie zum Beispiel Fahrzeuge) sind, ist dabei erstmal völlig unerheblich. Die Folgen dürfte sich jeder selbst ausmalen können. Aber es könnte auch zu einem aggressiven Verhalten führen, weil der Hund beispielswiese seine Beute (und genau das sind Ball, Frisbee und Co. in dem Fall) in Gefahr sieht, die er dann entsprechend verteidigen muss. Natürlich muss sich diese Sucht nicht so krass bemerkbar machen, aber die Gefahr der einzelnen Aspekte besteht durchaus. Es soll hier auch nicht der vielzitierte „Teufel an die Wand gemalt“ werden. Nicht jeder Hund, der gerne Ball spielt, ist auch Ball-süchtig.

Beim täglichen Spaziergang macht man sich das alles gar nicht bewusst. Aber – wenn man das dann erstmal erkannt hat – kommt man zu dem Schluss, mit dem Hund gemeinsam an diesem Fehlverhalten zu arbeiten. So jedenfalls geht es mir. Nachdem ich einen Hund mit diesem Verhalten hatte, muss ich sagen, dass – so viel Spaß das Spiel mit dem Ball auch machen mag – ich so ein Verhalten bei meinen Hunden nach Möglichkeit nicht mehr brauche und ich nicht haben möchte.

Und was kann man nun dagegen tun? Im Prinzip sollte man sich bewusstmachen, dass – analog zu Süchten bei Menschen zum Beispiel – auch diese Sucht ein Hundeleben lang anhalten wird. Also, einfach nur keine Bälle mehr zu werfen, damit wird es vermutlich nicht einfach getan sein. Vielmehr sollte man das Verhalten des Hundes dann eher kanalisieren. Gute Möglichkeiten sind hier Suchspiele, aber auch größere Tätigkeiten wie Man- oder Pettrailing oder auch die Aufgabe in einer Rettungshundestaffel. Wichtig dabei ist bloß, dass der Hund (und natürlich auch der Hundehalter) Spaß bei dieser Art von Arbeit haben.

Nicht geeignet erscheinen dabei Sportarten wie Agility oder auch THS, in denen es um Bewegung und Geschwindigkeit geht. Auch dies musste ich bereits bei meinem Leon erkennen. Er ist so „gaga“, dass er auf dem Hundeplatz quasi alles zusammengeschrien hat – sprich, dass er nur noch per aufgeregtem Bellen mich aufgefordert hat, doch nun endlich mit ihm zu laufen. Und dabei hat er mich auch das eine oder andere Mal gemaßregelt, bzw. hat versucht, mich zu maßregeln. Man kann das natürlich auch als „Arbeitsgeilheit“ bezeichnen, aber letztendlich ist es das meines Erachtens nach nicht. Mittlerweile habe ich Leon aus dem THS rausgenommen, und arbeite mit ihm im Rally Obidience (RO) was viel Ruhe beinhaltet, und wo er sehr konzentriert arbeiten muss. Und das tut sowohl ihm als auch mir sehr gut. Und es macht uns beiden sehr viel Spaß. Die Bewegungs-Sportarten, wie THS, mache ich nun mit meinen anderen Hunden.

Gute Tipps zu diesem Thema gibt es auch von Hundeexperten und Hundetrainern wie Martin Rütter. So zeigte er in einem Artikel in der Zeitschrift „Dogs“ aus dem Jahr 2008 Lösungsmöglichkeit auf, wie man dennoch auch ein Spiel mit Bällen realisieren kann. Natürlich gehört da dazu, dass man sehr konsequent ist, und das Ballspiel dann auch sehr planvoll umsetzt. In den Weiten des Internets finden sich aber noch viel mehr Artikel und Veröffentlichungen zu diesem Thema, und man sieht sehr gut, dass betroffene Hunde, bzw. Hundehalter, die damit konfrontiert und entsprechend betroffen sind, keine Einzelfälle sind. Es handelt sich hier um ein weit verbreitetes Phänomen. Nein, ich bin kein Experte, und dies ist nur mein persönlicher Erfahrungsbericht, aber ich bin sicher, dass der eine oder andere ähnliche Symptome bei seinem Hund entdeckt, und so etwas dafür sensibilisiert wird. Und wenn es vielleicht für den einen oder anderen doch eine kleine Hilfe ist, oder war, dann bin ich natürlich auch nicht böse… 😉